Kapelle Nr 70

Haus-Nr. 70 – Die Bethel Kapelle

Bei der Erforschung der Hausgeschichten wird das Primärkataster und die erste Ortskarte von 1836 zu Grunde gelegt.
Für die Musbacher Kapelle ist kein ein Eintrag im Primärkataster vorhanden.

Eine 2 stockige freistehende Methodisten Kapelle mit Fachwerkwänden unter einem Giebeldach mit aufgesetzten Türmchen und Holzbalkon. Wobei der Holzbalkon zwischenzeitlich entfernt wurde.

Kapelle mit Rathaus
Kapelle mit Rathaus
Kapelle von der Talseite gesehen
Kapelle von der Talseite gesehen
Kapelle Rückseite
Kapelle Rückseite

Im Feuerversicherungsbuch von 1887 ist für 1904 Johannes Müller, Bauer und dann Allianzverein Bethel in Untermusbach als Eigentümer eingetragen. 
Das Haus wurde 1904 erbaut.  Es besteht aus einen Versammlungsraum, einer kleinen Mesnerwohnung und ein Zimmer in dem ein Prediger übernachten kann.
Am 27. 12. 1904 war der erste Gottesdienst anlässlich einer Einweihungsfeier. Im Jahr 1955 wurde die evangelische Gemeinde als Miteigentümer eingetragen. Die methodistische Kirche hat dann 1977 ihren Anteil an die Evangelische Kirche abgegeben und der Allianzverein hat sich aufgelöst. Seit dieser Zeit wird die Kapelle von der Kirche in Grüntal betreut.

Der nachfolgende Text entstammt der alten Homepage der Kirchengemeinde Grüntal.

Die Anfänge

Es dürfte um 1900 gewesen sein, als sich hier in Musbach methodistische Christen , Gedanken darüber machten, wie für ihre Gottesdienste ein würdiger Raum zu erstellen wäre.
Die Gemeindeglieder der Methodisten in Musbach trafen sich zu ihren Gottesdiensten in den Wohnstuben der verschiedenen Mitglieder.
Methodisten gab es in Musbach seit 1869. In diesem Jahr hat Prediger Vollmer hier am Ort die erste Versammlung abgehalten.
Nicht so präsent wie heute war damals unsere evangelische Landeskirche.
Bekanntlich waren die Untermusbacher seit 1534 nach Grüntal „eingepfarrt“.
Die Bürger von Obermusbach dürften um 1600 zum Kirchspiel Grüntal gekommen sein, nachdem Herzog Friedrich I. am 24. 10. 1595 das Kloster Reichenbach besetzen ließ und dieses als zu Württemberg gehörig erklärte. Obermusbach war Klostergut.
Nachdem am 15.Okt.1583 in Grüntal Pfarrer Abraham Schauber als erster Pfarrer aufzog, waren dort in der Johanneskirche durch die Jahrhunderte, bis heute, weitgehend regelmäßig Gottesdienste. Die Johanneskirche in Grüntal war damals um 1534 eher eine Johannes Kapelle.
Erst 1592/1593 wurde die Johanneskirche durch Heinrich Schickhardt etwa auf die heutige Größe erweitert. Allerdings wurde erst ab 1739 unter Pfarrer Hipp der Chor auf die heutige Breite gebracht.
In Musbach waren um 1900 keine regelmäßigen Gottesdienste der Landeskirche. Die Gemeindeglieder gingen damals in der Regel zu Fuß zum Gottesdienst nach Grüntal .Dies bei jedem Wetter und zu allen Jahreszeiten. Das nicht präsent sein unserer Landeskirche vor Ort dürfte mit der Grund gewesen sein, das viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sich einer anderen Kirche oder auch Sekten zuwandten.
Heute sind wir dankbar dafür, das wir schon seit Jahrzehnten regelmäßig hier in der Kapelle Sonntag für Sonntag Gottesdienst feiern dürfen. Im politischen und bürgerlichen Bereich waren die späteren Erbauer der Bethelkapelle und die Gründer des Allianzvereines bewusst oder unbewusst in viele Ereignissen eingebunden.

Obermusbach und Untermusbach

Laut Oberamtsbeschreibung von 1858 war Untermusbach ein Dorf mit 351 Einwohner. Bis auf eine Person waren alle evangelisch. Diese „Person“ wie es in den Akten heißt, war eine Frau und nach Heiligenbronn „eingepfarrt“. Die katholische Wallfahrtskirche liegt rund 10 km von Musbach entfernt.
Obermusbach war ein Dorf mit 69 Einwohner und wie Untermusbach Pfarrfiliale von Grüntal.
Die Entfernung zur Oberamtsstadt beträgt zu Fuß 1 ½ Stunden bzw. 1 ¾ Stunden. Nach Grüntal ½ bzw. ¾ Stunden. Es wird von einem Kirchgänger ( Nußkern) aus Untermusbach erzählt, der war Pfeifenraucher, und hat auf dem Weg von Untermusbach bis zu den Kirchenstufen in Grüntal gebraucht bis die Pfeife gebrannt hat. Der hat damals wohl noch mit Feuerstein und Fidibus gearbeitet .
In der Oberamtsbeschreibung werden die Musbacher als kräftige, fleißige und betriebsame Menschen beschrieben. Die wirtschaftliche Situation sei im allgemeinen ziemlich befriedigend gewesen.
Im Jahr 1858 werden sowohl in Obermusbach wie Untermusbach neben der Landwirtschaft Pottaschesiedereien betrieben. Pottasche Natrium Carbonat Na² Co wird aus Holzasche gewonnen und dient zum Senken der Temperatur der Glasschmelze bei der Herstellung von Glas. Heutzutage wird Soda verwendet. INFO: Damals wurden zur Herstellung von einem Kilogramm Glas rund 40 Ster Holz , das Ster entspricht 2,7 m³ verbraucht.

Die Missernten der vergangenen Jahrzehnte in Folge schlechter Wetterlagen mit ihren wirtschaftlichen Folgen waren damals um 1900 sicher noch sehr gut in Erinnerung. Eine Folge davon waren in den Jahren 1800 / 1848 bis 1890 auch Auswanderungen von einzelnen Personen und ganzen Familien auch aus dem Kirchspiel Grüntal, nach Amerika, Südosteuropa und nach Russland (Ukraine). Es waren dies zum Teil schreckliche Schicksale.

Die etwa Mitte des 19.Jahrhunderts in Gang gekommene Industrialisierung hatte einiges an Veränderungen im menschlichen und im sozialen Bereich gebracht. Seit 01.Sept.1879 gab es die Eisenbahnverbindung Stuttgart – Freudenstadt mit dem nächst gelegenen Bahnhof in Grüntal. Es ist die Zeit des Jugendstiles. Um 1900 liefern Elektrizitätswerke Strom für die Beleuchtung auf Straßen, Plätzen und etwas später für die Haushalte. Noch später für den Maschinenbetrieb in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk. Natürlich ist das Automobil erfunden und wird ab 1900 zunehmend die Welt verändern.

Auch wenn die Oberamts-Beschreibung die wirtschaftliche Situation sowohl für Ober- wie Untermusbach als zufriedenstellend bewertet, ist doch kein Vergleich zu ziehen mit der heutigen wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung in unserem Ort.
Erinnert werden. soll auch an die Reichsgründung 1871.
In Deutschland war man um 1900 vielfach der Meinung, dass am deutschen Wesen die Welt genesen solle. Natürlich konnte niemand ahnen, dass mit der Gründung des Deutschen Reiches in Versailles bereits Katastrophen für Deutschland, Europa und die ganze Welt vorprogrammiert waren.

Der Bau

Um 1903 waren die methodistischen Musbacher Familien so weit, die Frage des würdigen Gottesdienstraumes in Angriff zu nehmen.
Sie bauten in Musbach zum Feiern ihrer Gottesdienste die Kapelle. Eine kleine Mesnerwohnung, Versammlungsraum und ein Zimmer, in dem der Prediger übernachten konnte waren im Obergeschoß eingebaut. Die Prediger waren damals in der Regel zu Fuß unterwegs.
Einige Zeit später, nach dem Bau der Bethelkapelle, war der Hauptinitiator des Baues Herr Johannes Müller, Haus Scheerer, Mitglied der Methodistischen Kirche nach guten Gesprächen mit Pfarrer Paulus von der Kirchengemeinde Grüntal und nach verschiedenen Besuchen der Allianzkonferenzen in der Schweiz und in Bad Blankenburg soweit, dass er Folgendes befürwortete: Der Gottesdienstraum in der Kapelle soll allen dem Worte Gottes verpflichteten Gruppen zur Verfügung stehen. Die Konsequenz daraus war die Gründung des Allianzvereines. Dieser Allianzverein war wohl einmalig innerhalb von Württemberg und der Württembergischen Landeskirche.
Herr Johannes Müller aus Untermusbach, stellte unter anderem das Grundstück für den Bau der Kapelle zur Verfügung. Außerdem arbeitete er am Bau der Kapelle mit. Viele Gemeindeglieder gaben Geld, das Bauholz und Arbeitsleistung und ermöglichten so den Bau der Kapelle.

Der Allianzverein

Am 27. 12. 1904 war erster Gottesdienst in der Bethelkapelle anlässlich einer Einweihungsfeier. Am 04. 12. 1905 wurde der Allianzverein mit Eintrag ins Vereinsregister gegründet.

Der wohl wichtigste Satz in der Vereinssatzung des Allianzvereins war der § 2 :
Der Verein verfolgt ausschließlich kirchliche Zwecke. Er hat die Aufgabe unter den bestehenden christlichen Kirchen und Gemeinschaften die vom Herrn geforderte Einheit im Geist zu pflegen und die biblische Lehre zu fördern.

Mitglieder der ersten Stunde des Allianzvereins waren die Herren: Johannes Müller, Friedrich Frey, Christian Bäuerle, Gottlob Schmid, Christian Sprandel, Oberlehrer Schmid, Kaufmann Schillinger, Daniel Schlee, Fritz Rauser, Fritz Rügner, Evangelist, E. Zimmermann, Pfarrer Paulus

Frau Martha Ziefle, unsere langjährige Mesnerin in der Kapelle (ab 1941) berichtete, dass bis zum 2.Weltkrieg für die landeskirchlichen Gemeindeglieder in den Sonntag- Abendstunden Andachten mit dem jeweiligen Pfarrer in der Kapelle stattfanden. Die Sonntags-Gottesdienste wurden in Grüntal in der Johannes-Kirche besucht.

Während des 2. Weltkrieges war es wohl Pfarrer Stiefenhofer aus Freudenstadt, der in Vertretung von Pfarrer Harzer Gottesdienste in unserem Kirchspiel hielt, der darauf drängte, regelmäßig landeskirchliche Gottesdienste auch in Musbach abzuhalten. Er ging wohl davon aus, dass ein Einzelner, nämlich der Pfarrer wohl weniger gefährdet sei auf dem Weg von Grüntal nach Musbach und zurück in Kriegshandlungen verwickelt zu werden wie mehrere Gemeindeglieder. Pfarrer Harzer war zum Kriegsdienst eingezogen worden.

Nach Veränderung der Rechtsform des Allianzvereines mit Eintrag ins Grundbuch 1955 wurden die Methodistische Kirche und die Landeskirche gleichberechtigte Benutzer der Kapelle, hatten aber auch für den Unterhalt und anfallende Reparaturen gemeinsam aufzukommen. Wahrscheinlich Anfang der 60iger Jahre wurden Sonntag-Vormittagsgottesdienste im Wechsel mit den Gottesdiensten der Methodisten-Kirche 09.00 Uhr und 10.00 Uhr eingeführt. Bis dahin waren landeskirchliche Gottesdienste immer nachmittags.

Renovierung 1977

Im Jahr 1977, stand eine größere Renovierung zum mindesten für den Gottesdienstraum an. Man sprach damals von einer verrauchten Bude mit dem dreifach geknickten Ofenrohr. Die Vertreter der methodistischen Kirche im Allianzvereins gaben bekannt, dass sie für die methodistische Gemeinde in Musbach keine Zukunft mehr sehen und dass die methodistische Kirche gezwungen sei ihren Anteil an der Kapelle der landeskirchlichen Gemeinde abzutreten.

Die Mitgliederversammlung des Allianzvereins beschloss während der Sitzung am 06. Jan. 1977 den Allianzverein aufzulösen. Mit dem Löschen im Vereinsregister wurde am 04. 08. 1977 der Allianzverein vor dem Registergericht Freudenstadt aufgelöst  Am 12. 08. 1977 wurde die landeskirchliche Gemeinde Grüntal-Musbach Eigner der Bethelkapelle.

Im Laufe der Monate August bis Dezember 1977 wurde der Gottesdienstraum renoviert. (Kosten etwa € 37.500.-) Der Einweihungsgottesdienst mit Dekan Schmid in Anwesenheit von Bürgermeister Wolff, Freudenstadt konnte am 25. Dez. 1977 gefeiert werden.

1978 wurde der Jugendraum im Obergeschoß durch Willy Frey, Alfred Wurster und Helfer umgebaut. Leider gab es Probleme mit der Baustatik. Diese Schwierigkeiten verhinderten den Bau eines durchgehenden Raumes.

Die Orgel

Der Einbau einer Pfeifenorgel durch die Fa. Rensch wurde im Sept.1993 verwirklicht. Noch in den 60-ziger Jahren haben sich Herr Clare ein pensionierter Lehrer und auch Herr Albrecht mit viel Elan mit einem alten Harmonium herum gequält. Ende der 6oer Jahre konnte eine kleine elektronische Orgel für die Kapelle beschafft werden.

Renovierung 1999

1999 wurde mit viel Liebe zum Detail eine weitere Renovierung, man kann sagen ein Umbau durchgeführt. Zum Beispiel die hübsche Treppe vom Obergeschoß zum Dachgeschoß oder die Küche in „ Marthas Wohnung“. Im Dachgeschoß konnte ein Jugendraumes eingebaut werden. Wesentliche Bereiche der Statik wurden neu berechnet und tragende Elemente eingebaut.

Mit dem Einbau eines Speisen Aufzugs von der Küche im Obergeschoß zum Gottesdienstraum und der Möglichkeit diesen Raum innerhalb kirchlicher Veranstaltungen auch für Feste zu nutzen, es kann jetzt bewirtet werden, wurde der Wunsch den Architekt Peter aus Loßburg anlässlich der Renovierung 1977 ausgesprochen hat, nachträglich erfüllt: „Ihr Musbacher solltet aus dem Gottesdienstraum eine Stube für die Gemeinde machen.“

Informationen aus: Archiv Musbach, Feuerversicherungsbuch von 1887 und alte Website der ev. Kirchengemeinde Grüntal. Erstellt von Hans Rehberg

Letzte Änderung am 22.07.24